Theodor Herzl war ein dem Judentum zugehöriger österreichisch-ungarischerSchriftsteller, Publizist und Journalist. 1896 veröffentlichte er das Buch Der Judenstaat, das er unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre geschrieben hatte. Herzl war der Überzeugung, dass Juden eine Nation seien und dass aufgrund von Antisemitismus, gesetzlicher Diskriminierung und gescheiterter Aufnahme von Juden in die Gesellschaft ein jüdischer Staat gegründet werden müsse. Er wurde zu dessen Vordenker, organisierte eine Massenbewegung und bereitete so der Gründung Israels gedanklich den Weg. Er gilt als Hauptbegründer des politischen Zionismus.
Theodor Herzl begleitete als Kind seinen Vater zu Gottesdiensten in der Großen Synagoge in der Tabakgasse, in deren unmittelbarer Nähe die Wohnung der Eltern lag. Unter Herzls Vorfahren finden sich sowohl christliche Konvertiten als auch Anhänger des frühen Zionismus. Zwei Brüder seines Großvaters väterlicherseits konvertierten als Erwachsene zum serbisch-orthodoxen Glauben. Dabei ließen sie sich von Mosche Herzl zu Lafero Spasoević bzw. von Herschel Herzl zu Costa Petrović umbenennen, weshalb ihre Namen in der Familie Herzl nicht erwähnt werden durften. Samuel Biliz (1796–1885) hingegen, Bruder von Herzls Großmutter väterlicherseits, war ein früher Anhänger der zionistischen Idee. Er führte 1862 Verhandlungen mit Chaim Lorje, einem führenden Vertreter der Chowewe Zion. Biliz amtierte als österreichischer Konsul in verschiedenen balkanischen Städten und lebte jahrelang in Philippopolis, bevor er in vorgerücktem Alter nach Jerusalem auswanderte.
Im Jahr 1878 zog die Familie nach Wien, wo Herzl an der Universität Wien Rechtswissenschaft studierte und 1881 Mitglied der Wiener akademischen Burschenschaft Albia wurde. 1882 las Herzl das antisemitischePamphletDie Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage – Mit einer weltgeschichtlichen Antwort von Eugen Dühring. Herzl notierte seine Ansichten und Gegenargumente zu Dührings antisemitischen Vorwürfen in ein Notizbuch und begann sich zu diesem Zeitpunkt mit dem Thema Antisemitismus sowie Wegen zu dessen Überwindung zu beschäftigen. Er sah in Dührings Schrift unter anderem den „vergifteten Stift der persönlichen Rachsucht“ am Werk. Mit der Zunahme antisemitischen Gedankenguts in den Burschenschaften legte er im März 1883 sein Band nieder und trat somit aus der Burschenschaft aus. Seine einzige Mensur sekundierte Franz Staerk. Herzl wurde am 16. Mai 1884 zum Dr. iur.promoviert. Von August 1884 bis Juni 1885 absolvierte er die Gerichtspraxis in Wien und Salzburg.
Der junge Herzl war von den zeitüblichen Stereotypen über das Judentum geprägt und betrachtete Juden als minderwertige, unmännliche, unablässig mit Gelderwerb beschäftigte Menschen ohne Idealismus. Aber er identifizierte sich auch mit der Geschichte der Juden als Opfer und bewunderte die jüdische Standfestigkeit angesichts von Verfolgung. Theodor Herzl, der allgemein als der Begründer des Zionismus gilt, war ursprünglich deutschnationaler Burschenschafter. Erst als er wegen des Waidhofener Beschlusses aus seiner Verbindung verstoßen wurde, begann er sich für die jüdische Nation einzusetzen und vehement die Gründung eines jüdischen Staates in Israel zu fordern. Von Oktober 1891 bis Juli 1895 war Herzl Korrespondent der Wiener Zeitung Neue Freie Presse in Paris, wo die politischen und sozialen Probleme sowie der parlamentarische Betrieb sein Interesse erregten. Eine Sammlung von Zeitungsartikeln zu diesem Thema erschien 1895 unter dem Titel Das Palais Bourbon (dort ist der Sitz der französischen Nationalversammlung). Nach seinen Erfahrungen in Paris sah Herzl die “Judenfrage” zunächst als soziale Frage, die durch organisierten Massenübertritt jüdischer Jugendlicher zum christlichen Glauben zu lösen sei. Um 1892/1893 schrieb er an Moritz Benedikt, er habe keine Hemmungen, pro forma zum Christentum zu konvertieren. Er könne so beruflich schneller vorankommen und seinen Kindern Diskriminierungen ersparen. Im Jahr 1893 entwickelte er einen Plan für eine Massenkonversion österreichischer Juden zum Katholizismus. Robert Wistrich schrieb zu diesen Plänen Herzls, dass sie deutlich machten, dass “sein eigener Assimilationskurs keineswegs nur oberflächlich war”. Später änderte Herzl seine Ansichten bezüglich einer Konversion zum Christentum. Mit seinem Drama Das Ghetto (später umbenannt zu Das neue Ghetto), das er im Herbst 1894 verfasste, hoffte Herzl, zu gegenseitiger Toleranz von Christen und Juden beizutragen und eine öffentliche Diskussion über die jüdische Frage anzuregen, die bisher nur in privaten Gesprächen behandelt worden war. In seinem Theaterstück stellt sich Herzl gegen Assimilation und Konversion als mögliche Lösungen des Problems. Er berichtete zur selben Zeit über die Dreyfus-Affäre und war auch bei der öffentlichen Degradierung von Dreyfus am 5. Januar 1895 zugegen. Herzl war Ehrenmitglied der Wiener Kadimah (Studentenverbindung).
Herzl war der Begründer des politischen Zionismus. Die Bewegung, die er ins Leben rief, wurde zur lebendigsten Kraft in der modernen jüdischen Geschichte. Er gründete ihr Presseorgan Die Welt, den Jewish Colonial Trust als finanzielle Basis und die Institution des Zionistenkongresses als Verkörperung des Parlamentarismus dieser weltumspannenden Bewegung. Seine Vorhersagen wurden Wirklichkeit: 1948 wurde der Staat Israel gegründet. Herzls Begräbnis am 7. Juli 1904 beschrieb Stefan Zweig:
“Denn plötzlich kamen auf allen Bahnhöfen der Stadt, mit jedem Zug bei Tag und Nacht aus allen Reichen und Ländern Menschen gefahren, westliche, östliche, russische, türkische Juden, aus allen Provinzen und kleinen Städten stürmten sie plötzlich herbei, den Schreck der Nachricht noch im Gesicht; niemals spürte man deutlicher, was früher das Gestreite und Gerede unsichtbar gemacht, daß es der Führer einer großen Bewegung war, der hier zu Grabe getragen wurde. Es war ein endloser Zug. Mit einem mal merkte Wien, daß hier nicht nur ein Schriftsteller oder mittlerer Dichter gestorben war, sondern einer jener Gestalter von Ideen, wie sie in einem Land, in einem Volk nur in ungeheuren Intervallen sich sieghaft erheben. Am Friedhof entstand ein Tumult; zu viele strömten plötzlich zu seinem Sarg, weinend, heulend, schreiend in einer wild explodierenden Verzweiflung, es wurde ein Toben, ein Wüten fast; alle Ordnung war zerbrochen durch eine Art elementarer und ekstatischer Trauer, wie ich sie niemals vordem und nachher bei einem Begräbnis gesehen. Und an diesem ungeheuren, aus der Tiefe eines ganzen Millionenvolkes stoßhaft aufstürmenden Schmerz konnte ich zum erstenmal ermessen, wieviel Leidenschaft und Hoffnung dieser einzelne und einsame Mensch durch die Gewalt seines Gedankens in die Welt geworfen.”
– Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, Wien 1952, S. 107.
Schaut man sich die Entwicklung des politischen Zionismus von Theodor Herzl an, dann ging es dabei um die Schaffung eines liberalen, (welt-)offenen, demokratischen Judenstaats, der seinen nicht-jüdischen Bewohnern gleiche Rechte wie den jüdischen Bewohnern einräumen sollte. Wie häufiger bei liberalen Bewegungen, werden sie früher oder später von Rechtsnationalisten gekappert und vollkommen entstellt. So auch beim Zionismus. Insbesondere die Netanjahu-Regierungsjahre, getrieben vom Revisionistischen Zionismus und Ethnonationalismus, haben Israel in eine “illiberale Demokratur” gelenkt (später von Viktor Orbán für Ungarn adaptiert). Herzl würde wohl einigermaßen erschrocken reagieren, wenn er sich ansehen müsste was aus seinen Ideen gemacht worden ist.