Tag der Nakba

Sonntag, 15. Mai 2022 - 11:00 (CET/MEZ) Berlin | Author/Destination:
Category/Kategorie: Allgemein, Union für das Mittelmeer
Lesedauer:  7 Minuten

Al Nakba graffiti in Nazareth © PRA/cc-by-sa-4.0

Al Nakba graffiti in Nazareth © PRA/cc-by-sa-4.0

Als Nakba (deutsch: Katastrophe oder Unglück) wird im arabischen Sprachgebrauch die Flucht und Vertreibung von deutlich über 700.000 arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina bezeichnet. Sie vollzog sich zwischen dem UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 und dem Waffenstillstand von 1949 nach dem Palästinakrieg, den sechs arabische Staaten gegen den am 14. Mai 1948 gegründeten Staat Israel führten. Im Geschichtsbild von Palästinensern und anderen Arabern wird die Nakba meist als von vornherein geplante ethnische Säuberung durch Israel beschrieben, im Geschichtsbild Israels meist auf eine freiwillige und auf arabische Aufrufe reagierende Flucht. 2004 hat der Präsident Palästinas Jassir Arafat den 15. Mai als den Nakba-Tag eingeführt, der in vielen Ländern begangen wird. In Palästina selbst kommt es zu häufig gewaltsamen Protesten. Der Begriff Nakba bezieht sich tatsächlich auf die Ermordung und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser, die Zerstörung palästinensischer Orte und Dörfer und deren bis heute anhaltenden, völkerrechtswidrigen Enteignungen. Das offizielle Israel versucht dem ein anderes Narrativ zu geben, indem unterstellt wird, dass sich Nakba auf die Gründung Israels beziehen würde.

Der UN-Teilungsplan für Palästina sah die Gründung eines arabischen und eines jüdischen Staates vor, der mehr als die Hälfte des Mandatsgebiets ausmachen sollte. Der Exodus der arabischen Bevölkerung begann während des arabisch-jüdischen Bürgerkriegs, der der Annahme des UNO-Teilungsplans im November 1947 folgte. Er setzte sich im unmittelbar nach der Erklärung der Unabhängigkeit des Staates Israel von den arabischen Staaten begonnenen arabisch-israelischen Krieg fort. Aus israelischer Sicht werden die Kriege, mehr oder minder berechtigt, als “israelischer Unabhängigkeitskrieg” bezeichnet. Die Gründe, die zur Flucht der arabischen Bevölkerung des seinerzeitigen britischen Mandatsgebietes Palästina führten, sind bis heute zwischen den Streitparteien (hoch)umstritten. Insbesondere die Extremisten beider Seiten sind hier mal wieder unversöhnlich. Als die jüdische Nakba, die unmittelbare Folge der und Gegenmaßnahme auf die Nakba, wird die Flucht und Vertreibung von etwa 800.000 Juden aus arabischen und islamisch geprägten Ländern seit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 bis heute bezeichnet. Die “jüdische Nakba” erreicht dabei in etwa die gleiche Größenordnung, wie sie die israelischen ethnischen Säuberungen in Palästina bis heute erreicht. Für Zionisten sind beide Nakbas keine Katastrophen. Sie bildeten vielmehr die Grundlage für die Schaffung eines jüdischen Staates. Die Vorgehensweise kann auch heute noch im palästinensischen Ostjerusalem, Westjordanland und auf den syrischen Golanhöhen miterlebt werden. Palästinenser werden enteignet und vertrieben, illegale israelische Siedlungen gegründet und erweitert, die nur durch Juden betreten werden dürfen. Auch die Zufahrungen, die mittlerweile die palästinensischen Siedlungsgebiete komplett durchschneiden, dürfen nur von Israels genutzt werden. Der Versuch auf internationaler Ebene die jüdische Nakba als selbstausgelöstes, aber eigentlich ungewolltes Ereignis darzustellen, ist lediglich eine Nebelkerze, um vom eigentlichen Thema abzulenken.

Palestinian towns and villages depopulated during the 1947–1949 Palestine war © Wiki Commons Al Nakba graffiti in Nazareth © PRA/cc-by-sa-4.0 Palestinian Refugees in Galilee © Fred Csasznik Palestinian refugees © Fred Csasznik
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Palestinian towns and villages depopulated during the 1947–1949 Palestine war © Wiki Commons
Im Jahre 2002 wurde in Israel ein Verein mit dem Namen “Zochrot”, deutsch “erinnern” in der weiblichen Form, gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, der jüdischen Bevölkerung Israels die Problematik der Nakba näherzubringen. Hierzu gibt der Verein eine Zeitschrift mit dem Titel “Sedek” (deutsch: Riss) heraus, veranstaltet Führungen zu ehemals palästinensischen Dörfern und Stadtquartieren und informiert mit Veranstaltungen zum Thema der Nakba. Des Weiteren verteilt er Unterrichtsmaterial über die Nakba an interessierte Lehrer und Hochschulreferenten.

2008 verbot das israelische Ministerium für Kultur und Sport die Verwendung des Wortes Nakba in arabischsprachigen Schulbüchern. Minister Gideon Saar erklärte, es gebe keinen Grund, die Gründung des Staates Israel in offiziellen Unterrichtsprogrammen als Katastrophe darzustellen. Rechtsgerichteten Israelis sind die Gedenkfeiern arabischer Israelis ein Dorn im Auge, da diese des Nakba-Tages am israelischen Unabhängigkeitstag gedenken. Im März 2011 beschloss die Knesset daher ein kontroverses Gesetz, das zwar nicht das Gedenken verbietet, aber jene Institutionen bestraft, die solche Gedenkfeiern abhalten oder unterstützen. Das Nakba-Gesetz, das im Januar 2012 vom Obersten Gericht bestätigt wurde, erlaubt es dem Finanzministerium, staatliche Förderungen für solche Institutionen zu kürzen. Wie so oft, wenn Ultranationalisten versuchen zu denken, ging auch dieser Versuch kläglich in die Hose. Mit der Gesetzgebung sollte die Erinnerung an die Nakba möglichst aus dem israelischen Gedächtnis getilgt werden. Tatsächlich geschah allerdings das genaue Gegenteil. Ausgelöst durch das Gesetzgebungsverfahren wurde die Nakba und deren Auswirkungen in der breiten israelischen Öffentlichkeit bekannter und vor allem diskutiert, während es zuvor höchstens Randthema war. Das der israelische Tag der Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai und der Tag der Nakba am 15. Mai so zwei Seiten der israelischen Identität ausmachen und auch als solche national und international wahrgenommen werden, verdankt man erst der Initiative der israelischen Nationalisten. Eine absolut ungewollte, aber dennoch große Leistung.

Lesen Sie mehr auf Die Zeit vom 11.05.2022: Kundgebung: Pro-palästinensische Demos rund um den Nakba-Gedenktag, Die Welt vom 14.05.2022: Berlin-Kreuzberg: Trotz Demo-Verbot zum Nakba-Tag – Polizei mit Tausend Beamten im Einsatz, taz vom 13.07.2022: Erinnerungskultur: Nakba und deutsche (Un-)Schuld, Jüdische Allgemeine vom 01.12.2022: New York: UN-Vollversammlung für “Nakba”-Gedenkfeier, DW vom 04.05.2023: Die Palästinenser und Israel: Was ist die Nakba?, Die Zeit vom 12.05.2023: Polizei: Erneut Palästina-Demonstrationen in Berlin verboten, taz vom 14.05.2023: Verbot von Nakba-Demonstrationen: Palästinenser im Visier, DW vom 14.05.2023: Zeitzeugen und Nachkommen zu 75 Jahre Nakba: “Sie ist Teil unseres Lebens”, United Nations vom 15.05.2023: Commemoration of the 75th anniversary of the Nakba at UN Headquarters in New York, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.05.2023: 75 Jahre “Nakba”: Eine blutige Geschichte – und zwei Versionen, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.05.2023: Palästinenser: Frei, aber nicht sicher, Jüdische Allgemeine vom 16.05.2023: Holocaust-Relativierung: “Israel lügt wie Goebbels”, Jüdische Allgemeine vom 17.05.2023: Berlin: Auswärtiges Amt: Goebbels-Vergleich von Abbas “inakzeptabel”, Jüdische Allgemeine vom 19.05.2023: Berlin: Polizei verbietet erneut “pro-palästinensische” Versammlungen, Wikipedia List of towns and villages depopulated during the 1947–1949 Palestine war und Wikipedia Nakba (Sicher Reisen - Die Reiseapp des Auswärtigen Amtes - Wetterbericht von wetter.com - Global Passport Power Rank - Travel Risk Map - Democracy Index - GDP according to IMF, UN, and World Bank - Global Competitiveness Report - Corruption Perceptions Index - Press Freedom Index - World Justice Project - Rule of Law Index - UN Human Development Index - Global Peace Index - Travel & Tourism Competitiveness Index). Fotos von Wikimedia Commons. Wenn Sie eine Anregung, Kritik oder einen Hinweis zu dem Beitrag haben, freuen wir uns auf Ihre E-Mail an kommentar@wingsch.net. Nennen Sie dazu im Betreff bitte die Überschrift des Blogbeitrags, auf den sich Ihre E-Mail bezieht.







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