Porträt: Der Schriftsteller Franz Kafka
Mittwoch, 26. Februar 2020 - 11:00 (CET/MEZ) Berlin | Author/Destination: Editorial / RedaktionCategory/Kategorie: Porträt Lesedauer: 7 Minuten Franz Kafka war ein deutschsprachiger Schriftsteller. Sein Hauptwerk bilden neben drei Romanfragmenten (Der Process, Das Schloss und Der Verschollene) zahlreiche Erzählungen. Kafkas Werke wurden zum größeren Teil erst nach seinem Tod und gegen seine letztwillige Verfügung von Max Brod veröffentlicht, einem engen Freund und Vertrauten, den Kafka als Nachlassverwalter bestimmt hatte. Kafkas Werke werden zum Kanon der Weltliteratur gezählt. Für die Beschreibung seiner ungewöhnlichen Art der Schilderung hat sich ein eigenes Wort entwickelt: “kafkaesk“.
Zu seinen Lebzeiten war Kafka der breiten Öffentlichkeit unbekannt. Kafka haderte mit sich selbst. Seine Zweifel gingen so weit, dass er seinen Nachlassverwalter Brod anwies, die noch nicht veröffentlichten Texte (darunter die heute berühmten Romanfragmente) zu vernichten. In der zweiten an Brod gerichteten Verfügung vom 29. November 1922 erklärte Kafka:
“Von allem, was ich geschrieben habe, gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler. (Die paar Exemplare der ‚Betrachtung‘ mögen bleiben, ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen, aber neu gedruckt darf nichts daraus werden.) Wenn ich sage, daß jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, daß ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.”
Heute besteht in literarischen Kreisen weitgehend Einigkeit, dass Brod eine segensreiche Entscheidung traf, als er den letzten Willen seines Freundes überging und dessen Werk publizierte. Einen nicht näher bestimmbaren Teil seiner Texte hat Kafka allerdings eigenhändig vernichtet, so dass Brod zu spät kam. Literaturkennern wie Robert Musil, Hermann Hesse, Walter Benjamin oder Kurt Tucholsky war Kafka bereits in den zwanziger Jahren ein Begriff. Weltruhm erlangte sein Werk erst nach 1945, zunächst in den USA und Frankreich, in den 50er-Jahren dann auch im deutschsprachigen Raum. Heute ist Kafka der meistgelesene Autor deutscher Sprache. Die Kafka-Rezeption reicht bis ins Alltagsleben hinein: So gab es in den 1970er Jahren einen Werbeslogan “Ich trinke Jägermeister, weil ich Kafkas Schloss nicht geknackt habe”. In einem Gespräch mit Georges-Arthur Goldschmidt bezeichnet der Kafka-Biograph Reiner Stach Samuel Beckett als “Kafkas Erbe”.
Im Mai 1963 hielt der tschechoslowakische Schriftstellerverband auf Initiative von Eduard Goldstücker eine internationale Kafka-Konferenz im Schloss Liblice bei Prag ab, die sich mit dem damals im Ostblock noch weitgehend abgelehnten Schriftsteller sowie mit dem thematischen Schwerpunkt Entfremdung beschäftigte. Diese Konferenz gilt als ein Ausgangspunkt des Prager Frühlings von 1967/68; ihre Bedeutung wurde im Jahr 2008 in einer Tagung aufgearbeitet. Im Oktober 2000 gab eine Jury bekannt, dass ein drei Meter hohes Bronzedenkmal in der Prager Altstadt zwischen der spanischen Synagoge und der Heilig-Geist-Kirche errichtet werden soll.
Abgesehen von der textimmanenten Kritik weisen unterschiedliche Interpretationen von Kafkas Werk u.a. in folgende Richtungen: psychologisch (wie bei entsprechenden Deutungen von Hamlet, Faust oder Stiller), philosophisch (vor allem zur Schule des Existenzialismus), biographisch (z.B. durch Elias Canetti in “Der andere Prozess”), religiös (ein dominierender Aspekt der frühen Kafka-Rezeption, der heute eher als fragwürdig angesehen wird, u.a. von Milan Kundera) und soziologisch (d.h. den gesellschaftskritischen Gehalt untersuchend). Eine wichtige Frage der Interpretation der Werke Kafkas ist die nach dem Einfluss der jüdischen Religion und Kultur auf das Werk, die schon von Gershom Scholem dahingehend beantwortet wurde, dass Kafka eher der jüdischen als der deutschen Literaturgeschichte zuzuordnen sei. Dieser Deutungshinweis wurde auf breiter Front von Karl E. Grözinger in seiner Publikation “Kafka und die Kabbala. Das Jüdische im Werk und Denken von Franz Kafka.” Berlin-Wien 2003 aufgenommen. Seine Forschungen haben eine tiefe Verankerung ganzer Romane wie Der Process oder Das Schloss in der jüdisch religiösen Kultur gezeigt, ohne die das Werk kaum adäquat verstanden werden kann. Wenn auch von manchen modernen Autoren bestritten, haben sich Grözingers Auffassungen doch weithin durchgesetzt.
Kafka bringt viele Figuren seiner Romane und Erzählungen in Beziehung zum Christentum: Im Process betrachtet Josef K. sehr genau ein Bild von der Grablegung Christi, und im Urteil wird Georg Bendemann auf dem Weg zu seiner Selbstopferung von der Bedienerin mit “Jesus!” angesprochen. Im Schloss verbringt der Landvermesser K. ähnlich wie Jesus die erste Nacht seines (Roman-)Lebens in einem Gasthaus auf einem Strohsack, und im selben Roman trägt Barnabas, der von allen männlichen Romanfiguren dem Landvermesser am nächsten steht, den Namen eines Juden, dem das Christentum wichtiger wurde als das Judentum (Apostelgeschichte des Lukas).
Besonders charakteristisch für Kafka sind die häufigen Wiederholungen von Motiven, vor allem in den Romanen und vielen der wichtigsten Erzählungen, zum Teil über alle Schaffensperioden hinweg. Diese Wiederholungsmotive bilden eine Art Netz über das gesamte Werk und können für eine verbindliche Deutung desselben fruchtbar gemacht werden. Zwei der wichtigsten Wiederholungsmotive sind das Motiv “Bett” (unerwartbar häufiger Aufenthalts- und Begegnungsort von Figuren, an dem bzw. in dem für viele Protagonisten der Texte das Unheil beginnt und sich fortsetzt) und das Motiv “Türe” in Form der Auseinandersetzung um ihr Passieren (bekanntestes, aber eben bei weitem nicht das einzige Beispiel ist das Tor zum Gesetz im Text Vor dem Gesetz, der sogenannten “Türhütergeschichte”).
Ungeachtet der jeweiligen Interpretationen wird zur Bezeichnung einer auf rätselhafte Weise bedrohlichen Atmosphäre der Begriff des Kafkaesken verwendet, der laut Kundera “als der einzige gemeinsame Nenner von (sowohl literarischen als auch wirklichen) Situationen zu sehen ist, die durch kein anderes Wort zu charakterisieren sind und für die weder Politikwissenschaft noch Soziologie noch Psychologie einen Schlüssel liefern.”
Lesen Sie mehr auf dhm.de – Franz Kafka, FranzKafka.de, franz-kafka.eu und Wikipedia Franz Kafka (Sicher Reisen - Die Reiseapp des Auswärtigen Amtes - Wetterbericht von wetter.com - Global Passport Power Rank - Travel Risk Map - Democracy Index - GDP according to IMF, UN, and World Bank - Global Competitiveness Report - Corruption Perceptions Index - Press Freedom Index - World Justice Project - Rule of Law Index - UN Human Development Index - Global Peace Index - Travel & Tourism Competitiveness Index). Fotos von Wikimedia Commons. Wenn Sie eine Anregung, Kritik oder einen Hinweis zu dem Beitrag haben, freuen wir uns auf Ihre E-Mail an kommentar@wingsch.net. Nennen Sie dazu im Betreff bitte die Überschrift des Blogbeitrags, auf den sich Ihre E-Mail bezieht.
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